Was ist autonomes Fahren? Wo stehen wir heute, wo morgen? Ein Erklärungsversuch.

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Das oberste Ziel des autonomen Fahrens (AF) ist die Sicherheit: Durch den Wegfall der menschlichen Komponente kann die Unfallrate um bis zu 90 % gesenkt werden. Weitere (Sekundär-)Vorteile des Systems sind:

  • der entstehende Komfort – ohne Verpflichtungen können alle Insassen ihren Aufgaben ähnlich wie in einem Zug oder Taxi nachgehen
  • die einhergehende Verkehrsentlastung und Nachhaltigkeit – laut diversen Studien in Höchstform um ca. 80 % weniger Ressourcenverbrauch durch weniger Fahrzeuge, bessere Auslastung sowie durch den sanfteren Verkehrsfluss ganz ohne die heutigen optischen Ampeln
  • eine umfassendere Mobilitätsmöglichkeit – unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand sowie ohne gesonderte Befähigungen (v. a. kein Führerschein)

 

Autonome Fahrzeuge wurden nicht nur von Waymo (Alphabet), Tesla, Apollo (Baidu) und ähnlichen US- und chinesischen Unternehmen massiv vorangetrieben, sondern auch durch milliardenschwere Entwicklungsbudgets deutscher Automobilhersteller und Zulieferer genährt.

Man unterscheidet beim AF einerseits nach den Automatisierungsstufen (SAE-Levels) und andererseits nach Anwendungsszenarien, den sogenannten Use Cases.

Die Stufen nach SAE klassifizieren die Fahrzeugautomatisierung und -autonomie sowie gegenläufig die menschlichen Pflichten: vom rein von Menschen bedienten Fahrzeugen (Level 0) über Hilfssysteme wie ACC (i.d.R. Level 1) und die aktuell in Deutschland zugelassene Teilautomatisierung (vor allem ADAS-Funktionen wie Spurhalteassistent mit Radartempomat oder überwachte Stau-/Autobahnpiloten, Level 2/3) bis hin zu voll automatisierten Fahrzeugen ganz ohne Lenkrad (Level 5).

Die Use Cases sind auf der einen Seite indirekt von der Automatisierungsstufe (technische Voraussetzung) und auf der anderen Seite vom Geschäftsmodell, dem Rechtsrahmen und der Nutzungsart abhängig.

Beim Use Case des Rufautos, das die höchste Automatisierungsstufe voraussetzt, wandeln sich die heutigen Automobilhersteller zum großen Teil zu Mobilitätsdienstleistern. Ihr Geschäftsmodell wird dann nicht mehr auf dem Verkauf von Fahrzeugen basieren, sondern auf der Bereitstellung eines öffentlichen Fuhrparks. So kann der Nutzer ein Auto zu einer gewünschten Destination per App rufen oder buchen (ähnlich Robotaxis bzw. dem Carsharing heute) und dabei Fahrzeugklasse und Beförderungsart (allein oder im Sammelfahrzeug) bestimmen. Die Fahrtkosten minimieren sich dadurch signifikant – bis hin zu kostenlosen Optionen dank Marketingmodellen.

Die heutigen Fahrzeuge mit den verbreiteten Assistenzsystemen bilden eine Zwischenstufe hin zum AF. Im nächsten Schritt wird zunächst der Use Case des Valet Parking in einem mittels Geofencing („Gebietssperren“) definierten Gebiet zur Umsetzung kommen: Während der Fahrer beispielsweise zum Einkaufen in die Innenstadt fährt, übernimmt das Fahrzeug nach dem Aussteigen des Fahrers in einem aus Sicherheitsgründen degradierten Modus (z. B. mit einer langsamen Geschwindigkeit) den Weg zu (entsprechenden) Parkplätzen außerhalb des Stadtkerns und kommt auf Wunsch jederzeit wieder zurück. Auf gleicher Zeitebene steht die Automatisierung von Lkws auf Autobahnen an. Hier ist die Verkehrskomplexität gering und die Geschwindigkeit zudem physikalisch und normativ beschränkt. Ähnlich geregelte Umgebungen gibt es mit den ausschließlich für autonome Minibusse ausgelegten Fahrspuren bereits in China, aber auch in Deutschland (allerdings mit anderen Konzepten).

Beispiel-Use-Cases als Anfangs- und Endversion.
(Nach: Autonomes Fahren, Maurer et al., Springer Open, 2015)

Valet Parking – begrenzt autonome Leerfahrt zum Parkplatz am Stadtrand nach dem Insassen-Ausstieg.
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Vehicle-on-Demand: Rufauto aus dem autonomen Fuhrpark eines Mobilitätsdienstleisters.

Während man bei ausschließlich autonomen Fahrzeugen auf der Straße durch die Vernetzung des Fahrzeugs mit der Infrastruktur und anderen Fahrzeugen (V2X, auch per 5G) zahlreiche Vorteile haben wird, ist der in der Übergangszeit auftretende Mischverkehr mit menschlich geführten Fahrzeugen fürs AF eine Herausforderung.

Weitere Themen wie beispielsweise eine Insassenüberwachung zwecks Steuerübergabe, die menschliche Aggressivität gegenüber regelbasierten Agenten, unerwünschte Manipulationsmöglichkeiten (Robustheit) sowie normative und markenprägende Individualisierungen fließen im Zusammenhang mit AF ebenfalls in den Diskurs hinein. All diese Themen müssen letztendlich innerhalb des fahrzeuginternen Steuerungsablaufs berücksichtigt werden – von der Erkennung der Außenwelt über die Prädiktion aller Teilnehmer sowie die Lokalisierung der eigenen Position bis hin zur Planung und Regelung der (kurzfristigen) Fahrtrajektorie.

Die normative Verhaltensweise hoch automatisierter Fahrzeuge ist dabei nicht zu unterschätzen und wird bereits in einfachsten Zügen gesellschaftlich und mit teils sehr zugespitzten medialen Szenarien thematisiert. Das Ziel aller Entwicklungsparteien muss daher sein, die Sicherheit für das autonome Fahren zu maximieren und die Transparenz sowie die standardisierten gesetzlichen Regulierungen vollständig zu gewährleisten. Diese Vorkehrungen sollen insbesondere auch potenziellen zukünftigen Konflikten, beispielsweise bei (wenigen) Unfällen nach Serienreife des AF, entgegenwirken.

Eine wesentliche Herausforderung des AF auf der gesellschaftlichen Ebene ist nämlich das Akzeptanzproblem: Die normative Systemarchitektur mit den entsprechenden Werten und Eigenschaften, die noch zu einem wesentlichen Teil in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs erarbeitet werden müssen, ist für den Durchbruch vom AF als Technologie entscheidend. Bereits heute könnte die reine Automatisationstechnologie häufig mehr leisten, als gesetzlich zulässig ist. Viele Gegenargumente – etwa dass der Mensch des „Spaßes“ wegen immer noch überwiegend selbst fahren wird – gelten mittlerweile als überholt. Darauf deuten sowohl die schnelle Gewöhnung an die heute teilweise bereits standardmäßig eingebauten Assistenzsysteme (Adoptionsrate) als auch Erkenntnisse aus zahlreichen Pilotprojekten hin.

Generell gilt: Die Verantwortung von Entwicklern ist in jenen Technologien am höchsten, die Einfluss auf Leben und Tod von Menschen haben. Dies trifft unbestritten auf das autonome Fahren zu. Dabei sind juristische, gesellschaftliche und ethische Aspekte zu berücksichtigen. Einige Themenfelder, die für die Entwicklung des AF notwendig sind, beispielsweise das Sammeln notwendiger Daten (Milliarden an [simulierten] Fahrkilometern und hochauflösende HD-Maps zur Lokalisierung) sowie die Entwicklung von Testfeldern und der Regulatorik, sind auf anderen Kontinenten teilweise weiter fortgeschritten. Bei der Entwicklung der technischen, normativen Hybridarchitekturen streben dagegen wir an, Vorreiter zu werden!

Zwei normative Randszenarien als Denkanstoß:

Grenzen der Schadensminimierung – bei unvermeidbarer Wahl: Gefährdung des Fahrradfahrers mit oder ohne Helm?

Passive/indirekte Handlung beim zurasenden LKW und schützenswertem Passanten (hupen, entgegenwirken)?

Gerade das normative Verhalten beim AF hat viele spannende Aspekte zu bieten! Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen. Hier geht es zu unserem Kontaktformular.